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Wiener Staatsballett: Martin Schläpfers Abschied ganz ohne Tränen (Juni 2025) - Ein Bericht von Meinhard Rüdenauer

Wiener Staatsballett: Martin Schläpfers Abschied ganz ohne Tränen (Juni 2025) - Ein Bericht von Meinhard Rüdenauer

Wiener Staatsballett: Martin Schläpfers Abschied ganz ohne Tränen (Juni 2025)

Der Abschied des Leiters des Wiener Staatsballetts fällt leicht. Es ist einer ohne Tränen. Und er ist erwünscht. Der Vertrag des Schweizers Martin Schläpfer ist nicht verlängert worden. Schläpfer ist in Wien gewiss nicht glücklich geworden. Hat auch Wiens Ballettfans nicht glücklich gemacht. Als hierzulande völlig unbekannter Choreograph dürfte er sich in Wien mit dem großen Ensemble, welches sich nach der langen brillanten Zusammenarbeit mit Manuel Legris in Bestform befunden hatte, eine Blüte seiner Tanzschöpfungen erwartet haben. So ist es mit dem gegebenen Mittelmaß nicht geworden. Und er wurde von vielen der Ensemblemitglieder nicht geschätzt. Hat einen unnötigen, unglücklichen, unsensiblen Umbau der Kompanie vollzogen, hat feine TänzerInnen entlassen. War im Kampf gegen wohlmeinende, doch kritisch analysierende Journalisten uneinsichtig. Und er wurde in nicht wenigen österreichischen wie deutschen Medien schwer kritisiert. Denken wir nur etwa an seine missglückte „Dornröschen“-Umgestaltung. Oder besonders negativ ist zuletzt die vernichtende Kritik über das Gastspiel des Wiener Staatsballetts und dessen augenblicklichem Zustand in Madrid gewesen (auf onlinemerker nachzulesen).

Schläpfers Engagement als Ballettchef in Wien ist das Ergebnis falscher Einschätzung durch die Österreichischen Bundestheater gewesen. Es war ihm nicht gegeben mit weitsichtigem Denken zu schaffen. Erfolgreich ist er als Choreograph mit moderner Ausrichtung im kleinen Mainzer Ensemble 1999 bis 2009 gewesen. Doch auch seine Arbeit hierauf ab 2009 an der Oper am Rhein dürfte nicht allzu toll gewesen sein: Sein Nachfolger hatte keine seiner Choreographien nochmals angesetzt.

Das Problem Schläpfer mit seinem Ego ist ein schwer menschliches – mit starken Abhängigkeiten. Im Ballettsaal sind die jungen Menschen dem Befehlsausgeber voll ausgeliefert. Und die zuvor von Manuel Legris zu exzellenten Leistungen geführten TänzerInnen sind sich der wohl auch innerlichen Schwierigkeiten des Chefs sehr bewusst gewesen. Ein Kontra gibt es da nicht. Oder, wie mitten in der Saison eine technisch besonders exzellente klassischen Ballerina mir zugeflüstert hatte: „Ich bekomme keine Auftritte.“ Und eine hoch geschätzte frühere führende Staatsopern-Solistin, dann auch Chefin im Ensemble, hat zu Schläpfers Abgang gemeint: “Schade, fünf verlorene Jahre für die Tänzer“. Es sind wahrscheinlich auch verlorene Jahre für die wienerischen Reste in der Staatsoper gewesen: Natascha Mair und Jakob Feyferlik, beide Wiener, von Legris zu Jungstars geformt und bereits Publikumslieblinge, haben über die Schwachstellen von Schläpfer gewußt, sind  vor ihm zu ausländischen Kompanien geflüchtet. Somit hatte er ihnen die Karriere in ihrer Heimatstadt zunichte gemacht.

Kay Voges, der ebenfalls nach vielen Besucherproblemen abgehende Chef des Wiener Volkstheaters, hat bei seiner nicht unoriginellen Abschiedsshow auf der Bühne zwar nur so nebenbei doch offen gesagt: „Eine Kritikerin hat mich als erfolglosesten Direktor hier im Haus bezeichnet“ (so inhaltlich, vielleicht leicht andere Wort). Dort wie hier: Dürfte dem Urteil vieler Kenner der Kulturszene nach schon stimmen. Nochmals: Bitte die aktuelle Kritik aus Madrid nachzulesen. Aber auch die aktuelle Entwicklung im Wiener Staatsballett bestätigt: Seine Nachfolgerin Alessandra Ferri hat keine einzige seiner stets ziemlich gleichförmig geformten Choreographien übernommen. Schnelllebigkeit in der Kunst – oder nichts wert? 

 

Meinhard Rüdenauer

„Creations", Vienna State Ballet (Wiener Staatsballett), Volksopera, June 27th, 2025

„Creations", Vienna State Ballet (Wiener Staatsballett), Volksopera, June 27th, 2025